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GRANDE FINALE AN DER CÔTE D'AZUR


Ja, ja, zuweilen ist das Autorenleben schön. Sie erinnern sich, letzte Woche hatte ich das Vergnügen an die Côte d’Azur zu reisen, um Herbert Nitsch, einen der Pioniere des Apnoetauchens, zu treffen. Eigentlich traf ich ihn nicht an der Küste, sondern vielmehr im bergigen Hinterland, was, wie mir erst vor Ort bewusst wurde, fast zur Komplikation ausgeartet wäre. Denn noch am Vortag unseres Termins täuscht das laue Lüftchen am Kiesstrand darüber hinweg, dass in den Bergen tiefwinterliche Bedingungen herrschen, die Straßen hoffnungslos blockiert sind.


In unserem Gespräch eröffnet mir Herbert später, dass man hier in Levens, seinem temporären Lebensmittelpunkt, nicht über die benötigten Gerätschaften zur Schneeräumung verfügt, das öffentliche Leben schlicht still steht und das private reduziert wird auf die eigenen vier Wände. Mit Sicherheit mühselig für die Einheimischen, doch auch irgendwie erfrischend, dieses Ausgeliefertsein den natürlichen Begebenheiten gegenüber. Ausgeliefert; so stelle ich mir als ausgewiesener Skeptiker was größere Ansammlungen des kühlen Nass angeht, Herberts Alltag als Taucher vor. Schon der erste Strandbesuch in Nizza bestärkt mich in dieser Ansicht, als ein Mini-Tsunami meine geliebten Waldviertler überflutet und der Kinderwagen (selbstredend ohne Passagier) beinahe den Gezeiten zum Opfer fällt...


Wenig überraschend sieht Herbert das anders, für ihn stellt Wasser Lebenselixier und Raum für kreative Entfaltung dar; er bewegt sich so selbstverständlich in ihm, dass zu keiner Zeit, selbst während seiner für den Laien haarsträubenden Weltrekorde, ein Eindruck von Gefahr entsteht. Erst 2012, im Zuge jenes Tauchgangs, mit dem er sich endgültig zur Apnoe-Legende emporhob, kam es zu einer Verkettung unglücklicher Umstände, die dem Beobachter dramatisch vor Augen führten, dass Pioniertaten selten gefahrlos vonstattengehen. Herbert erlitt mehrere aufeinanderfolgende Schlaganfälle durch die sogenannte Dekompressionskrankheit, die sich vereinfacht ausgedrückt durch die Bildung von Gasblasen in seinem Blut aufgrund ungenügenden Druckausgleichs beim Auftauchen manifestierte.


Danach verschwand Herbert für einige Zeit medial von der Bildfläche; schon damals verfolgte ich mit Bewunderung seine Tauchgänge und kann mich noch gut an Gespräche mit Freunden erinnern, wie es ihm wohl nach dem Unfall gehe. Keiner von uns ging damals von einer besonders positiven Prognose aus, scheinbar bewerteten die meisten Medien die Lage ähnlich. Außerdem erinnere ich mich noch an die teilweise schockierenden Postings, die ich kurz nach dem Unfall unter den diesbezüglichen Berichten in den Online-Foren der großen österreichischen Printmedien las. Vereinzelt wurde ihm in dieser virtuellen Schlangengrube gar ein Dasein als lebenslänglicher Pflegefall, oder noch Schlimmeres, an den Hals gewünscht.


Der gefallene Held, entmenschlicht und durch den Unfall seiner Würde beraubt, gab ein lohnendes Ziel für jene ab, die sich auch zu Zeiten, in denen normale Menschen üblicherweise ihrem Brotberuf nachgehen, im Netz tummeln und ihr Gift versprühen. Direkt seien solch herzallerliebste „Genesungswünsche“ nie an ihn herangetragen worden, winkt Herbert ab. Zum Glück, denke ich mir. Und doch beschäftigt mich diese Verrohung, das Abwägen eines Menschenlebens gegen Rettungskosten (die im Übrigen ohnehin von Herbert und seinen Sponsoren getragen wurden) und sonstiges Allerlei; ich möchte Ihnen die leidige Diskussion bezüglich der gesellschaftlichen Belastung durch zivilisatorische Risikogruppen, Raucher, Übergewichtige, Alkoholsüchtige und dergleichen, ersparen. Soll menschliche Solidarität enge Grenzen haben? Ein entschiedenes NEIN was mich angeht. Scheinbar empfinden das Viele anders, eine Klettertour, ein Tauchgang oder eine lange Radausfahrt werden zur Gefahr für den Seelenfrieden der Lethargischen. Gut, Sie haben mich erwischt, jetzt habe ich mich auch zur Pauschalisierung hinreißen lassen. Natürlich ist objektive Kritik an solch abenteuerlichen Unternehmungen an der Grenze des Möglichen bisweilen berechtigt, vielleicht sogar sinnvoll, um als regulative Kraft dem allzu abwegigen Rekordstreben Einhalt zu gebieten. Aber nur auf einer fundierten Faktenbasis, nicht aus dem wutbürgerlichen Bauch heraus.


In meinem Buch widme ich mich unter anderem der Frage: wie extrem ist „Extrem“sport wirklich? Dabei bewege ich mich auf einem Grat, muss eigene Meinungen und Emotionen ausblenden, was die Befragung der Protagonisten angeht, im Text jedoch ein mitreißendes Bild zeichnen und unter Abwägung meiner eigenen Erfahrungen im Ultracycling resümieren. Ob mir das gelungen ist, müssen Sie als Leser selbst beurteilen, jedenfalls boten mir Protagonisten wie Herbert Nitsch die idealen Voraussetzungen, meine Idee in die Tat umzusetzen. Er schaffte es in unserem Gespräch, die hochkomplexen Vorgänge bei einem Tauchgang über 253 m derart aufzuschlüsseln, dass auch ein interessierter Laie Zugang fand.


Ich verlasse Levens mit derselben persönlichen Bewunderung, jedoch einem geänderten Weltbild aus der Sicht des objektiven Autors, was die Hergänge seines Unfalls und der Gefährlichkeit des Apnoetauchens angeht. Genaueres können Sie im Buch nachlesen, jedenfalls faszinieren mich die Akribie in der Umsetzung und auch die Sicherheitskonzepte, die Herbert entwickelte, um seiner Leidenschaft nachhaltig und möglichst kontrolliert nachzugehen. Dass es Aktive gibt, die das Apnoetauchen rustikaler betreiben, dass auch bei Herberts 33. Weltrekord Murphy’s Law zuschlug, ist nicht zu leugnen. Und dennoch bleibt nicht viel übrig vom Nimbus des adrenalingesteuerten Draufgängers, als den ihn die oben zitierten Forumssheriffs sowie der ein oder andere Journalist damals brandmarkten.


Übrigens beging ich just bei meinem letzten Gespräch den ersten groben Recherche-Fauxpas: ich reiste im Glauben an, dass Herberts aktueller No Limits Weltrekord aufgrund der aufgetretenen Probleme ungültig sei; tatsächlich ist dem jedoch nicht so, die unglaubliche Marke von 253 m steht. Selbst den als seriös angesehenen Online-Quellen ist also nur bedingt zu trauen, muss ich mir hinter die Ohren schreiben. Ein Grund mehr, hinter die Fassade von Dingen zu blicken, bevor man marktschreierisch absolute (Pseudo-)Wahrheiten zum Besten gibt.


Beim Interview mit No Limits Weltrekordhalter Herbert Nitsch (www.herbertnitsch.com)

Côte d'Azur ohne Rad? Undenkbar.

 

In seinem Erstlingswerk "Randonnée" beschreibt David Misch in einer Mischung aus Nacherzählung und Tagebucheinträgen seine Erlebnisse bei den härtesten Radrennen der Welt. Jetzt widmet er sich unter dem Arbeitstitel "Bei sich: eine Spurensuche im Extremsport" der Portraitierung einiger der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des österreichischen Sports. An dieser Stelle teilt Misch ab Jänner 2018 regelmäßig Gedanken und Erlebnisse von der Idee bis zum fertigen Buch.


Coverfoto: (c) Marion Luttenberger

 

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