WENN MAN VON DER ERSTEN IN DIE DRITTE WELT KOMMT
Extrembergsteiger und Buchautor Theo Fritsche ist wieder auf Reisen, wieder in Nepal. Der Vorarlberger, der im egoth-Verlag das Werk „Auch ganz oben bist Du nicht allein“ (2016) veröffentlichte, schreibt hier seinen Reise-Blog.
Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich schon in Nepal war, 80 Mal, oder 90, oder vielleicht gar 100 Mal? Wie gesagt, ich weiß es nicht, und es ist auch nicht wichtig. Ich habe mich nie sonderlich mit dem beschäftigt, was in der Vergangenheit liegt. Sind es negative Ereignisse, dann sind sie ohnehin nicht mehr zu ändern. Sind es positive Erinnerungen, so geben sie mir Kraft für die Bemühungen in der Gegenwart und Zukunft.
Nepal also. Am heutigen 4. April geht es los, bis Mitte Mai werde ich in Asien sein. Es sind rund 30 Jahre, in denen ich in Nepal und Tibet unterwegs bin, auf Expeditionen und Trekkingtouren. Die Himalaya-Region ist zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich achte die Menschen dort und schätze ihre Lebensweise, Kultur, Religion. Der Meinungsaustausch mit Sherpas und regionalen Begleitern war für mich immer befruchtend, und weil ich mich ihnen öffnete, erhielt ich Zuneigung und Freundschaft zurück. Jedes Mal wenn ich aus Kathmandu oder Lhasa abflog, blieb ein kleines Stückchen meines Herzens in dieser Region zurück.
Wenn man mit Menschen verbunden ist, möchte man für sie da sein, ideelle und materielle Unterstützung anbieten. Wenn wir aus der sogenannten ersten Welt kommen, in der wir alles im Überfluss haben, und wenn wir in der dritten Welt auf Gipfel steigen und eigene Träume realisieren, wenn wir uns dort also von Zeit zu Zeit „breit macht“, dann sollten wir das Ungleichgewicht der Lebensumstände vor Augen haben und nicht so tun, als sei alles normal und gottgegeben: einfach mit praller Geldtasche nach Nepal fliegen, lokale Unterstützung gewinnen, trekken und bergsteigen und wieder heimfliegen, mit vielen schönen Fotos und Eindrücken, mit denen man andere begeistern - und mit denen man, eventuell, auch Geld verdienen kann.
Wir sind sieben Milliarden auf diesem Planeten und wir tragen gegenseitige Verantwortungen. Wenn Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Krisengebieten kritisch gesehen werden von immer mehr Europäern, dann müssen wir uns umgekehrt auch die Frage stellen, was wir zur Veränderung der Verhältnisse in ärmeren Ländern beitragen wollen. Oder wollen wir einfach nur Urlaub machen an exklusiven Orten, „Armut schauen gehen“ vielleicht gar in einer der Favelas von Rio de Janeiro und dann zurück in unsere Komfortzone fliegen, mit den wunderbaren Sonnen-Auf- und Untergängen, der Sicht bis an den Horizont, der exotischen Fauna und Flora in unseren Gedanken und mit nichts anderem? Sind wir wertvolle Mitglieder einer globalen Gesellschaft oder egoistische, oberflächliche Lebewesen, die nach dem Motto, sich selbst der Nächste zu sein, dahinvegetieren, in unseren modernen Bungalows oder schmucken Einfamilienhäusern, mit unseren teuren Laptops und super-teuren Autos?
Jeder, wie er kann und wie er will. Ich bin keine objektive moralische Instanz, und wenn ich hier von meinem Schul- und Hilfsprojekt in Nepal schreibe, dann tue ich das mit dem Wissen, dass es viele andere Organisationen und Projekte gibt, die auch in Nepal und anderswo helfen, die größer, wichtiger, auch erfolgreicher sind als meine. Ich besitze kein Alleinstellungsmerkmal, und ich füge hinzu: gottlob! Je mehr Menschen sich für andere einsetzen, umso gerechter, friedlicher und schöner wird unsere Welt.
Lesen Sie am Freitag, 6. März: EIN WELTVERBESSERER, DER KEINER SEIN WILL