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STELVIO: NUR DER TEQUILA FEHLTE

Der Stelvio Marathon begann mit einer TV-bedingten Verzögerung und endete für mich knapp 40 Minuten früher als im Jahr zuvor. Herausfordernd waren die Höhenmeter, traumhaft die Kulisse und der Ausblick, perfekt die Organisation und das Drumherum, und wer hier nicht angetreten ist – nun ja: selber schuld.

von links Peter Pfeifer, Dietmar Permesser, Egon Theiner, Werner Mairl, Andreas Gindlhumer und Gerald Burger

Der Wiener Dietmar Permesser ist einer meiner besten Freunde, und ich war sehr glücklich, als er mir zusagte, in diesem Jahr zum Stelvio-Marathon zu kommen, genauso, wie ich auch Andreas Gindlhumer aus Steyr und meinen Südtiroler Landsmann und Trailrunning-Vienna-Macher Werner Mairl überzeugen konnte, bei diesem Event dabei zu sein. Mairl trat über die 26-km-Distanz („Classic“) an und war super-schnell unterwegs, Gindlhumer hatte sich beim Marathon auf den ersten Metern von uns verabschiedet und war davongeeilt, und so bestritten Dietmar und ich mehr oder weniger das gesamte Rennen zusammen.

Der Stelvio-Marathon bietet einen ersten Teil auf Asphalt und Schotter, dann 19 Kilometer im Gelände, dann 7000 Meter auf Asphalt. Im Vorjahr lief ich mit Straßen-, diesmal in Trailschuhen. Beide Varianten haben was, idealerweise, denke ich, könnte nach 16 Kilometern das Schuhwerk gewechselt werden (so, wie es viele Läufer und Läuferinnen auch beim Zermatt-Marathon machen). Doch wenn die Wahl auf ein einziges Paar fallen müsste, dann wäre es – für mich persönlich – der Trailschuh.

Dietmar und ich kennen uns gut, also rannte der Schmäh. Auf der flachen, knapp 16 Kilometer langen Schleife fanden wir gar die Muse, ein kurzes Handy-Video zu drehen und viele Grüße nach Salzburg zu senden, wo einige unserer Lauffreunde und –freundinnen in den verschiedenen Distanzen des „Mozart 100“ engagiert waren.

„Komm, mach weiter!“, rufe ich Dietmar zu. Der ist wieder einmal stehen geblieben, bei einer der 15 – ja, richtig: 15! – Labestationen. Soweit ich mich erinnere, lässt er keine aus, trinkt, was angeboten wird, isst, was da ist. „Wenn es nur die Hälfte an Verpflegungspunkten gäbe, wären wir schon um Stunden schneller“, motze ich ihn auf gut wienerische Art an. Dietmar versteht den Scherz, es geht uns nicht um irgendeine Zielzeit, sondern um das Erlebnis. Und er schnattert zurück: „Ist ja alles da, warum es zurücklassen?“ Was wir nur beide nicht verstehen. Zitronen und Salz gibt es, aber wo ist der Tequila?! Wir müssen lachen.

Als der Pfad zu steigen begann, war es dann vorbei mit der Plauderei und Scherzerei. Dann benötigten wir die Luft für etwas anderes. Immerhin waren beim „Stelvio 2018“ über 2500 Höhenmeter zu bewältigen, teils auf Forststraßen und Wanderwegen, teils auf herrlichen Pfaden, die das Herz von Trailläufern höher schlagen lassen. Achtsamkeit war geboten, doch die technischen Schwierigkeiten waren überschaubar. Was der Marathon aber permanent offerierte, war ein herrliches Panorama. Auf den Wegen zwischen Prad und Stilfs (wo die 21-km-Marke erreicht wurde), lag ein großer Teil des Obervinschgau im Blickfeld des Betrachters.

Durch die Wälder ging es zum Wildgehege Fragges, dann weiter zur Furkelhütte auf 2250 m Seehöhe. Oberhalb der Baumgrenze wurde der Trail hochalpin, einige kurze Passage führten über Geröll und Gestein. Der Goldseeweg ist einer der schönsten Wanderwege im Stilfser Nationalpark und führt hinauf bis zum Joch. Aber nicht für uns. Wir mussten nochmals negative Höhenmeter in Kauf nehmen. In der Kehre 25 mündete dann die Laufroute des Marathons in die bekannteste Passstraße der Alpen. Nunmehr ging es in den Serpentinen sieben Kilometer dem Ziel entgegen. Allein auf diesem letzten Teilstück hatten die Organisatoren rund um Peter Pfeifer und Gerald Burger vier (!) Labestationen installiert. Bei jener an der Franzenshöhe gab es Bier. „Das ist nicht mehr ganz kalt“, merkte ich nach dem ersten Schluck kritisch an. „Trink nur aus!“, munterte mich der Helfer freundlich auf.

Auf den letzten ein oder zwei Kilometern ereilte mich ein Hungerast und schmerzlich wurde mir vor Augen geführt, dass ich auch beim „Stelvio“ ohne fundiertes Ernährungskonzept angetreten war. Vor wenigen Wochen hatte mich ein Kuchenbuffet beim „Schwarzach Trail“ ins Ziel gerettet, doch an den vielen Labestationen zwischen Prad und Joch hatte ich außer Wasser und Cola kaum etwas zu mir genommen und von den eigenen mitgetragenen Vorräten gerade einmal einen Riegel und ein paar Drops verbraucht. Das war zu wenig. Ich wusste, dass mich nur ein paar Kilometer mehr richtig in die Krise gestürzt hätten. „Haben wir darüber nicht vor kurzem erst geredet?!“, fragte mich Werner beim Abendessen. Ich senkte den Kopf wie ein Schüler, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, und nickte schuldbewusst. „Das nächste Mal werde ich mir auf den Unterarm schreiben, was zu tun ist“, versprach ich. Schummeln ist (in diesem Fall) erlaubt.

Nach 7:15:39 Stunden war ich im Ziel, kurz hinter Dietmar, der auf der Passstraße mein Motivator und Antreiber gewesen war und mir auf dem Asphalt locker davoneilen hätte können. Die Medaille, das Finisher-T-Shirt, das Erinnerungsfoto mit meinen Begleitern, die aufmunternden Worte und anerkennenden Blicke der Freiwilligen, die kurzen Gespräche mit anderen Läufern und Läuferinnen, der Ausblick auf den Ortler – was Minuten währte, fühlte sich an wie eine Ewigkeit an Glückseligkeit.

Dann saß ich wie ein Häufchen Elend auf einer Bank und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Im Shuttlebus zurück nach Prad hatte ich den Eindruck, als käme mein dürftiger Mageninhalt hoch (was er nicht tat, und das war gut für mich, für Andi auf der einen und einem Läufer aus dem Allgäu auf der anderen Seite in der letzten Reihe des Neunsitzers).

Der „Stelvio“ ist ein Laufereignis, das man zumindest einmal im Leben gemacht haben muss, und zwar aus vorrangig diesem Grund: eines überwältigenden, einzigartigen Panoramas wegen. Und wegen der Erinnerungsmedaille. Und wegen des Finisher-Shirts. Nun ja, deswegen vielleicht weniger. Wie sagte mir mein zehnjähriger Neffe am Abend des 16. Juni? „I hob a schun zwoa Finisher-Shirts… vom Lauf um den Völser Weiher…“

TERMIN JETZT SCHON VORMERKEN! DER DRITTE STELVIO-MARATHON FINDET AM 15. JUNI 2019 STATT. ICH WERDE WIEDER DABEI SEIN. UND IHR DA DRAUSSEN?

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